UN-Migrationspakt schlägt Wellen
Zweifellos: Die Migration aus wirtschaftlichen Gründen wird eine der Hauptherausforderungen des 21. Jahrhunderts werden. «Der GCM schafft als erstes gemeinsam erarbeitetes Dokument einen multilateralen Kooperationsrahmen für eine verstärkte Zusammenarbeit der Staaten in Migrationsfragen. Ein solcher Rahmen fehlte bisher. Die Migrationsthematik stellt für praktisch alle Staaten ein sensibles Thema dar und wird zu den Kernaufgaben nationaler Souveränitätspolitik gezählt. Dieser Tatsache trägt der GCM Rechnung», schreibt die Regierung in ihrem 57-seitigen Bericht zum UN-Migrationspakt an den Landtag. «Die Analyse hat ergeben, dass Liechtenstein die meisten der 23 Ziele bereits erfüllt. Eine lückenlose Umsetzung durch Liechtenstein wäre nicht vorgesehen.» Die Regierung hat entschieden, dass Liechtenstein an der Konferenz in Marrakesch am 10./11. Dezember auf der Beamten- und Fachebene teilnimmt. «Das Abstimmungsverhalten für eine allfällige Verabschiedung des GCM an der UNO-Generalversammlung in New York im Dezember wird zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt.
Schwierige Passagen
Alfred-Maurice de Zayas ist Völkerrechtler und war von 2012 bis 2018 unabhängiger Experte des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung. Zuvor arbeitete er als Jurist am Zentrum für Menschenrechte der Vereinten Nationen in Genf, später bis 2003 im Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. Er teilt die Sorglosigkeit zum Pakt nicht. Für ihn widerspricht der GCM dem «Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR)». Ausserdem gehe der Pakt nicht auf die Ursachen von Migration ein, sondern nimmt die Migration – aus den verschiedensten Motiven – quasi als «gottgegeben» hin. Auch wenn der Compact kein Pakt, sondern ein Aktionsplan ist, birgt er kritische Punkte. Man schaffe damit kein völkerrechtlich bindendes Instrument. Die Frage drängt sich auf: «Wenn es nicht verbindlich sein soll, warum macht man es dann?» Alfred de Zayas sieht im Interview mit der unabhängigen Schweizer Zeitschrift «Zeitgeschehen im Fokus» (www.zeitgeschehen-im-fokus.ch) die Gefahr, dass damit «Fake law» geschaffen wird. Ein «Pseudo-Recht jedoch, das reelle Folgen hat, weil Menschen denken, wir müssen uns daran halten.» Der Völkerrechtler sieht viele Probleme im GCM. Es werde suggeriert, dass die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Souveränität und die Menschenrechte nicht gefährdet werden. «Es ist eben die Umsetzung, die an den Roman 1984 von George Orwell erinnert, an den orwellschen Newspeak», erklärt de Zayas.
Es bestehen offensichtlich Auffassungsunterschiede zu den Zielen und deren Umsetzung: Zum Beispiel das Ziel 17 dürfte den Journalisten auf den ersten Blick nicht passen. «Es darf keine Kritik mehr an der Migration geübt werden», erklärt der Zayas. demnach würden die Grundrechte wie die freie Meinungsäusserung oder die Pressefreiheit massiv eingeschränkt. Es gehe sogar soweit, dass man bestimmte Stellungnahmen über die Migration mit den Strafrecht ahnden will. Die Regierung sieht das anders und sieht das Ziel bereits erfüllt: «Mit diesem Ziel ergibt sich kein Handlungsbedarf, welcher über bereits bestehende völkerrechtliche Verpflichtungen und die nationale Gesetzgebung hinausgeht und kann somit als umgesetzt betrachtet werden», schreibt sie in ihrem Bericht.
Kurze Vorlaufzeit
«Niemand hat versucht, den Pakt geheim zu halten. Vielmehr hat sich lange Zeit einfach fast niemand dafür interessiert. Das liegt sicher auch daran, dass es Diplomaten, Abgeordnete und Pressesprecher zwei Jahre lang nicht geschafft haben, das Thema einer breiten Öffentlichkeit näherzubringen», schrieb die Deutsche Presseagentur (dpa) treffend. Auch hierzulande war die Vorlaufzeit, sich ernsthaft damit zu beschäftigen, recht kurz. Obwohl die Verhandlungsergebnisse bereits im Juli auf dem Tisch des Aussenministeriums lagen, wurden sie der Regierung erst im Novemberzur Kenntnis gebracht. Hätte Österreich nicht seine Ablehnung medienwirksam kundgetan, wäre dieses Vorgehen vielleicht aufgegangen und hierzulande der Aufschrei auch nicht so gross gewesen. Die Hauptstossrichtung des Pakts ist nachvollziehbar und folgerichtig. Ein Beispiel: In einigen Ländern der Welt – vor allem in voraufklärerischen islamischen Staaten – ist Ausbeutung von Menschen leider noch an der Tagesordnung. Die Beseitigung von Menschenhandel und ein «integriertes, sicheres und koordiniertes Grenzmanagement» sind zu befürworten. Befürworter meinen zudem, dass der Pakt viele Spielräume biete. Eine auf Grenzsicherung fokussierte Migrationspolitik, wie sie Viktor Orban verfolgt, sei genauso möglich wie ein liberalerer Kurs. Dennoch trafen Absagen eine Zeit lang praktisch täglich ein. USA, Australien, Österreich, Israel und weitere Staaten wollen dem Pakt in Marrakesch nicht beitreten.
Bevölkerung ernst nehmen
Auch hierzulande sind die ablehnenden Stimmen in der Überzahl, zumindest wenn man die Leserbriefspalten liest. Wo viel Licht ist, ist oft auch viel Schatten. Es ist zum Teil die Sprache, die verwendet wird. So wird zum Beispiel statt von illegaler von irregulärer Migration gesprochen. Es ist die Frage der Verbindlichkeit, die in einem unverbindlichen Kleid daherkommt. Für die Gegner ist klar, dass man mit diesem Pakt die Katze im Sack kauft. Solange so viele kritische Stimmen sich erheben, wäre es wohl fatal, das Ganze einfach über die Köpfe der Menschen hinweg durchzuwinken. So ein Vorgehen würde das Vertrauen in die Politik allzu sehr strapazieren. Dass der Pakt im Landtag überhaupt diskutiert wird, ist bereits ein Schritt in die richtige Richtung. Die Meinung des Landtags und der Bevölkerung werde in die Entscheidungsfindung einfliessen, verspricht die Regierung.
Flüchtlingspakt in der Pipeline
Nach dem Migrationspakt, der das Thema «Flüchtlinge» bewusst ausklammerte, folgt der Global Compact on Refugees (GCR), also der Flüchtlingspakt. Dieser ist offenbar weniger umstritten: Am 13. November nahm der Dritte Ausschuss der UN-Generalversammlung die entsprechende Resolution an. 176 Länder, darunter alle EU-Mitglieder, stimmten dafür. 13 Staaten nahmen an dem Votum nicht teil, drei enthielten sich. Die USA lehnten das Papier ab. (mw)