Ganz oder gar nicht
Interview: Gabi Eberle, Liechtensteiner Vaterland
Mit Blick auf Ihr Kurzporträt: Frau Marxer-Kranz, sind Sie «Super-woman»?
Gunilla Marxer-Kranz: Definitiv nein. Und nicht nur, weil ich nicht fliegen kann (lacht). Ohne unterstützenden Background, meine Eltern, Schwiegereltern, Schwester und vor allem mein Mann, die mir Rückhalt geben und mich bei der Kinderbetreuung unterstützen, wäre das Pensum nicht zu stemmen. Dafür bin ich sehr dankbar. Zudem ist die Wirtschaftskammer ein verständnisvoller Arbeitgeber, der es mir ermöglicht, auch einmal von zu Hause aus zu arbeiten.
Wäre für die Kinderbetreuung auch die Kita infrage gekommen?
Die Kita ist eine tolle Einrichtung, unsere Jungs sind ab und zu dort am Mittagstisch. Arbeiten zu gehen ist mir wichtig. Ich habe viel Zeit in meine Ausbildung investiert und möchte diese auch nutzen. Wäre jedoch die Unterstützung innerhalb der Familie nicht möglich gewesen, hätte ich auf die Landtagsarbeit verzichtet.
Wie ist im Hause Marxer-Kranz die Familienarbeit aufgeteilt? Bleibt noch Zeit für sich oder Zweisamkeit?
Wir führen einen Familienkalender, tragen dort alle Termine ein, dann wird koordiniert (lacht). Abends schaut, wenn notwendig, mein Mann zu den Kindern. Kochen, Waschen, Aufräumen übernehme ich, bei der Grundreinigung habe ich Hilfe. Einfach hinsetzen und nichts tun kenne ich nicht mehr. Mittlerweile liegt wieder etwas Sport drin. Am Wochenende steht die Familie im Mittelpunkt. Ab und zu gehen mein Mann und ich gemeinsam abendessen – manchmal mit Freunden, die oft zu kurz kommen.
Morgen, am 8. März, ist Internationaler Frauentag. Wie hat sich in Liechtenstein die Stellung der Frau in den letzten 20 Jahren verändert?
Das Thema Frau ist mehr in den Fokus gerückt, Vereine wie Frauen in guter Verfassung oder Frauennetz Liechtenstein wurden gegründet, Veranstaltungen und Projekte wie der Businesstag für Frauen initiiert. Zurzeit wird die Frauenbewegung in Liechtenstein dokumentiert und archiviert. «Hoi Quote» hat die Frauen angestossen, politisch tätig zu werden, was sicher Einfluss auf die guten Resultate bei den letzten Gemeinderatswahlen hatte. Ob sich die Stellung der Frau verbessert hat? Je nachdem, wer gefragt wird, wird die Antwort unterschiedlich ausfallen. Aus Frauensicht waren die Landtagswahlen 2017 ein Desaster. Nachwahlbefragungen zeigten: Zwei Drittel der Wähler quer durch die Parteien haben nicht darauf geachtet, Frauen zu wählen. Nur ein Drittel hat bewusst Frauen bevorzugt.
Vereinbarkeit von Familie und Beruf, ausserhäusliche Kinder-
betreuung, bezahlte Elternzeit. Kurze Statements.
1: Hier sind wir definitiv noch nicht dort, wo wir sein sollten. Es müssen
z. B. mehr Teilzeitstellen geschaffen werden.
2: Muss für alle finanziell tragbar sein.
3: Ja, ist wünschenswert. Die Finanzierung ist aber noch nicht befriedigend geregelt.
Für Liechtenstein: Quote, HalbeHalbe oder nichts von beidem?
Nichts von beidem. Ich denke, die Gründe hierfür habe ich schon mehrfach kundgetan. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema ist aber sicher richtig und wichtig und wäre ohne diese Frauen und Männer nie in Gang gekommen. Ich bevorzuge aber anstelle von gesetzlicher Verbindlichkeit Kampagnen wie zum Beispiel «Helvetia ruft», welche innert kurzer Zeit zur Sensibilisierung in Bezug auf die Geschlechterparität beigetragen hat.
Sie stehen für fundierte Aussagen. Ebenso klar beziehen Sie Stellung, wie Anfang Februar, zum Thema Drogenkonsum/Handel an Liechtensteins Schulen (VU-Klar-Seite, «Vaterland», 8.2.2020).
Als das Thema im Dezember 2019 publik wurde, sprach ich mit einigen Jugendlichen darüber. Die Aussagen waren geteilt. Im VU-Klar-Artikel, auf den ich sehr viele positive Rückmeldungen erhielt, legte ich meinen Standpunkt dar. Ich bin der Meinung, dass wir als Gesellschaft – Eltern, Lehrer, Mitschüler, der Staat – Verantwortung für die Jugendlichen haben, dass kein Elternhaus davor gefeit ist und es nichts bringt, das Problem herunterzuspielen. Mit unseren Buben sprechen wir altersgerecht darüber. Sie wissen, was Drogen sind und wie sie wirken.
Wie ist der Austausch unter den Landtagsabgeordneten, die Arbeit dort an sich?
Praktisch jeden Montag findet eine Fraktionssitzung statt, an der auch die Regierung teilnimmt. Dort wird alles, ob angenehm oder nicht, besprochen und ausdiskutiert, was ich ebenso schätze wie den Rückhalt, den die Basis mir gibt. Wir pflegen einen offenen und ehrlichen Umgang. Innerhalb der Fraktion kennt man meine Meinung und weiss, wie sie zustande kam. Man verbringt sehr viel Zeit miteinander, unternimmt auch einmal gemeinsam etwas, Freundschaften sind entstanden. Die Frauen im Landtag werden meiner Ansicht nach nicht anders behandelt, erfahren keine Nachteile. Wenn man sich nicht nur aufs Frausein reduziert, klappt es bestens.
Als die Anfrage hinsichtlich Landtagsvizepräsidentin kam, haben Sie ...
... nur zwei Tage Bedenkzeit gehabt, weil das Tagesgeschäft schon lief. Ich bin ein Kopfmensch, schreibe Pro-Contra-Listen und nehme mir vor Entscheidungen normalerweise viel Zeit. Nach Gesprächen mit der Familie, die mir ihre Unterstützung zusagte, konnte ich mit Überzeugung Ja sagen. Vor allem mein Mann hat mich in der Entscheidung bestärkt.
Der Bauch wird nicht gefragt?
Zu 10 Prozent (lacht).
Ihr erster Auftritt als Sitzungsleiterin im Landtag war ...
... eine Herausforderung. Kurzfristig wurde ich von Landtagspräsident Albert Frick angefragt, die Nachmittagssitzung zu leiten. Selbstverständlich sagte ich zu. Nicht der Umstand an sich, sondern die Technik brachte mich ins Schwitzen. Per Knopfdruck muss das Abstimmungsverhalten ausgelöst, per Mausklick den Abgeordneten die Stimme erteilt werden etc. Wahrlich «auf den letzten Drücker» wurde mir alles erklärt ... und dann gab während der Sitzung auch noch die Batterie in der Maus den Geist auf!
Wie gross ist der zeitliche Aufwand?
Die Landtagsarbeit macht circa 40 Prozent aus, wobei es sicher einen Unterschied macht, ob man Anfänger ist oder bereits mehrere Legislaturperioden hinter sich hat. Weitere 10 Prozent für Zusatzaufgaben als Landtagsvizepräsidentin, Präsidium etc. Vor den Wahlen werden es sicher mehr sein. Dazu kommen 40 Prozent als Juristin bei der Wirtschaftskammer Liechtenstein. Ja, dort arbeite ich an zwei Tagen pro Woche. Die restliche Zeit bin ich zu Hause, wenn die Kinder von der Schule kommen – ausser es steht ein öffentlicher Auftritt an oder es ist Landtag. Gerne mache ich hier Werbung für die Landtagstätigkeit, die recht flexibel einteilbar ist. Die Vorbereitungsarbeit erledige ich zwischen 21 Uhr abends und 1 Uhr morgens – Recherche zu Berichten und Anträgen, Voten vorbereiten etc. Ja, ich weiss ... (lacht, zeigt auf ihre Augenringe)
Wie fühlen Sie sich heute im Hohen Haus?
Gut aufgehoben. Mittlerweile weiss man, was einen erwartet, kennt die Abläufe. Ich lege grossen Wert darauf, dass meine Voten mit bestem Wissen und Gewissen inhaltlich fundiert und abgesichert sind, vertrete konkrete Positionen und möchte für das Land Liechtenstein und seine Bewohner das Beste herausholen. Ich bin kein Fähnchen im Wind und auch nicht der Typ, der laut wird. Mit Fakten, die die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für ihre Entscheidungen suchen und wollen, kommt man weiter als mit populistischen Aussagen.
Gab es Situationen, die Sie an Ihre Grenzen brachten?
Definitiv beim Misstrauensantrag Aurelia Frick. Wir Abgeordneten standen unter gewaltigem Druck, die Situation war ein Novum und extrem schwierig. Zudem glaubten viele, die Meinungen seien schon vorgefasst gewesen. Dem war nicht so. Ich habe mir sehr viele Gedanken gemacht. Es war klar, dass bei einem negativen Entscheid einer Person allenfalls die Karriere zerstört werden würde. Aber mit dem Wissen, welches die Öffentlichkeit nicht vollumfänglich hatte, musste ich letztlich so entscheiden. Auch die Länge der Sitzung – es waren über acht Stunden – wurde uns immer wieder vorgeworfen. Hätten wir nach vier Stunden aufgehört, wäre vermutlich der Vorwurf laut geworden, den Fall zu schnell abgehandelt zu haben.
Überzeugungskraft, schusselig, geistig wendig, künstlerische Ader, ganz oder gar nicht. Eine Kurzbeschreibung des Sternzeichens Zwillinge.
Anscheinend bin ich ein typischer Vertreter meines Sternzeichens. Bezüglich Überzeugungskraft würden unsere Jungs wohl widersprechen (Stichwort Hausaufgaben) ... Schusselig bin ich, geistig wendig war ich. Eine künstlerische Ader wird mir auch nachgesagt, zumal ich vor Jahren den Vorkurs für die Kunstgewerbeschule absolviert habe. Ganz oder gar nicht: Ganz – und am liebsten auch noch sofort.
Im Mai werden Sie 48 Jahre alt. Schreiben Sie bereits an Ihrer «Bucket List» – Dinge, die Sie unbedingt noch machen möchten?
Für mich hat das Alter keine Priorität. Bucket List habe ich keine. Hätte ich eine, würde ich mich unter Druck fühlen, diese abarbeiten zu müssen. Dort hätte zum Beispiel auch nie gestanden, dass ich in den Landtag will (lacht). Lieber ergreife ich die Chancen, die sich mir spontan bieten, wenn sie für mich passend sind.
Glauben Sie, dass die AHV für Sie noch reicht? Erbprinz Alois zum Beispiel will das Pensionsalter erhöhen ...
... gekoppelt an die durchschnittliche Lebenserwartung. Sicherlich ein Punkt, den man nicht von vornherein völlig ausschliessen kann. Das Thema muss jetzt angegangen, fundiert von allen Seiten angeschaut werden. Es soll alles in Betracht gezogen werden, auch wenn es unangenehm wird. Vorsorglich lege ich jedoch etwas Geld zur Seite (lacht).
Kurzporträt
Gunilla Marxer-Kranz, geb. 1972, ist mit ihrer älteren Schwester Manuela in Triesen und Vaduz aufgewachsen. Mit 19 Jahren künstlerischer Vorkurs in der Schweiz, 1993–1998 Studium der Rechtswissenschaften an der Uni Fribourg. Seit 2017 Landtagsvizepräsidentin, Mitglied des Landtags, Beisitzerin im VU-Präsidium, Mitglied im VU-Ortsgruppenvorstand Eschen-Nendeln. An zwei Tagen pro Wochen arbeitet die Juristin mit Anwaltspatent bei der Wirtschaftskammer Liechtenstein. Sie ist verheiratet, lebt mit Ehemann Philipp Marxer, Geschäftsleitungsmitglied eines Vermögensverwalters, und den beiden Söhnen (7/9) in Nendeln.