«Bürgerrechte dürfen nicht beliebig ausgesetzt werden»
Ohne Coronavirus hätte in diesen Tagen die heisse Phase des Abstimmungskampfs über die Verfassungsinitiative «HalbeHalbe» und die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft begonnen. Geplant war der Urnengang für den 7. Juni. Doch die Regierung hat am 3. April mittels Verordnung die angesagte Volksabstimmung auf unbestimmte Zeit verschoben. Innenministerin Dominique Hasler nimmt Stellung zur heiklen Entscheidung.
Regierungsrätin Hasler, wieso wurden die beiden Abstimmungen verschoben?
Dominique Hasler: Im Innenministerium sind wir verantwortlich für die Volksrechte, welche ein Kernelement unseres Staates darstellen. Im Falle der angesetzten Volksabstimmungen war es uns aus Verantwortung gegenüber den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern sehr wichtig zu prüfen, ob in der derzeitigen Situation Abstimmungen ordnungsgemäss durch geführt werden können. Der politische Meinungsbildungsprozess stellt einen wichtigen Bestandteil des grundrechtlichen Anspruchs auf ungehinderte Ausübung der politischen Rechte dar. Freie Wahlen und offene Abstimmungen liegen nur dann vor, wenn die Meinungsäusserungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gegeben sind, so dass die Meinungsbildung ungehindert erfolgen kann. Durch die Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus gibt es massgebliche Einschnitte ins gesellschaftliche Leben, die gerade diesen Prozess der Meinungsbildung erschweren. Die verschiedenen Aspekte haben die Regierung nach deren Abwägung dazu bewogen, die Volksabstimmungen zu verschieben.
Der Abgeordnete Thomas Lageder hat im Sonderlandtag letzte Woche die Frage gestellt, ob es überhaupt in der Kompetenz der Regierung lag, die Volksabstimmungen zu verschieben. Hätte hier der Landtag nicht gefragt werden müssen?
Das ist eine berechtigte und wichtige Frage, denn auch wenn wir uns derzeit in einer ausserordentlichen Situation befinden, muss alles, was wir entscheiden, nach rechtsstaatlichen Prinzipien geschehen. Deshalb haben wir auch diese formale Frage, die der Verschiebung einer Volksabstimmung zu Grunde liegt, juristisch beurteilt. Die Regierung hat sich in der gegenwärtigen Situation auf Art. 91 Abs. 1 VRG gestützt und sich dabei auch an die in Art. 91 Abs. 1 VRG vorgesehene Form der Verordnung gehalten. Hierdurch wird dem Bürger die Möglichkeit eröffnet, verschiedene Verfahren zur Überprüfung der Verordnung zu lancieren, wodurch der Rechtsstaatlichkeit Rechnung getragen wird.
Die gesamte Regierung, aber auch Sie in Ihrem Ministerium mussten in den letzten Wochen viele einschneidende Massnahmen treffen. Wie konnte hier die Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden?
Keiner der von der Regierung getroffenen Entscheide wurde leichtfertig gefällt. Auch wenn manchmal wortwörtlich über Nacht Entscheidungsgrundlagen erarbeitet werden mussten, wurde immer nach bestem Wissen und Gewissen und in hohem Bewusstsein um die Rechtsstaatlichkeit gehandelt. Sämtliche Gesetzes- und Verordnungsanpassungen werden auch in herausfordernden Zeiten, wie wir sie in den letzten Wochen infolge der Covid-19- Pandemie erlebten, legistisch geprüft und die ordentlichen Prozesse via den Landtag selbstverständlich eingehalten. Gerade das Funktionieren der politischen Institutionen ist und war uns wichtig. Es hat sich also nichts am Ablauf des Gesetzgebungsprozess geändert, sondern an der Kurzfristigkeit der notwendigen Erlasse infolge der ausserordentlichen Situation. Das führt bei allen Beteiligten, die bei der Erarbeitung von Gesetzes- und Verordnungsanpassungen in Krisenzeiten wirken, zu einer grossen Belastung, weshalb ich ihnen für ihren Einsatz danken möchte.
Dennoch können derzeit verschiedene Rechtsfristen verschoben werden. Auch was mit Referendumsfristen gegen Landtags- oder Gemeinderatsentscheiden ist, scheint derzeit unklar. Wie stehen Sie dazu?
Die Bürger unseres Landes erwarten, dass die Staatsgewalten; Legislative, Exekutive und Judikative funktionieren. Gerade in ausserordentlichen Lagen stehen diese in einer besonderen Bewährungsprobe. Daher ist im Umgang mit Fristen eine äusserst sorgfältige Abwägung vorzunehmen. Es muss ein jeder Bürger zu seinem Recht kommen und die politischen Prozesse dürfen nicht zum Erliegen kommen. In der Folge kann ein Rechtsstaat diese Rechte nicht beliebig aussetzen und muss sämtliche Fristverlängerungen wie etwa auch bezüglich Referenden genau prüfen.
schriftliches Interview: Patrik Schädler